Ein Ausflug in die Metallkunde
Metallkunde ist der „Spezialbereich“ nur für Metalle und ihre Legierungen – in diesem Kontext also genau das Feld, in dem z. B. Glockenbronze, Stahlglocken oder Eisenhartguss fachlich eingeordnet werden.
Glockenbronze gehört zu den faszinierendsten Speziallegierungen, weil sie Klang, Haltbarkeit und Tradition in einmaliger Weise verbindet. Vergleicht man sie mit „normaler“ Bronze und anderen Metallen, wird deutlich, warum bis heute nahezu alle hochwertigen Kirchenglocken daraus gegossen werden.
Was ist Glockenbronze?
Unter Glockenbronze versteht man eine sehr genau definierte Kupfer-Zinn-Legierung:
typisch etwa 78 % Kupfer und 22 % Zinn.
Diese Zusammensetzung liegt im oberen Zinnbereich klassischer Bronzen (Glockenbronze allgemein ca. 20–24 % Zinnanteil).
Die Folgen dieser „Rezeptur“:
- hohe Härte und Festigkeit → die Glocke verformt sich beim Anschlag so gut wie nicht dauerhaft
- hoher Elastizitätsmodul → der Werkstoff schwingt schnell und präzise zurück
- gute Korrosionsbeständigkeit → die Glocke hält Jahrhunderte, auch im Außenklima
- sehr günstiges Schwingungsverhalten → langer Nachklang, reiches Teiltongspektrum
Voraussetzung ist eine sehr reine Schmelze mit möglichst wenig Lunkern und Einschlüssen – gute Glockengießereien achten daher streng auf Rohstoffe, Schmelzführung und Formaufbau.
Unterschied zur „normalen“ Bronze
„Bronze“ ist zunächst nur ein Sammelbegriff für Kupfer-Zinn-Legierungen mit sehr unterschiedlichen Zusammensetzungen und Zusätzen (z. B. Blei, Zink, Phosphor).
Viele technische Bronzen haben:
- deutlich weniger Zinn (z. B. 5–12 %) → sie sind weicher, zäher, besser spanbar
- teilweise Zusätze wie Zink oder Blei → gut für Lager, Gleitflächen, Maschinenteile, aber nicht ideal für musikalische Resonanzkörper
Glockenbronze geht bewusst in den Bereich hoher Zinngehalte (≈22 %), weil:
- Festigkeit, Härte und Schallgeschwindigkeit zunehmen,
- sich ein klarer, tragfähiger Klang mit langem Nachhall ausbildet,
- die Obertöne besser kontrollierbar sind und sich zu einem harmonischen Akkord („Teiltongruppe“) ordnen.
Eine „normale“ Bronze-Glocke mit zu niedrigem Zinngehalt oder mit ungeeigneten Zusätzen würde:
- dumpfer oder „verwaschener“ klingen,
- schneller „verlöschen“ (kürzere Abklingdauer),
- unter Umständen weniger stimmbar sein, weil das Teiltongleichgewicht ungünstig ist.
Kurz gesagt: Glockenbronze ist eine Spezial-Bronze, optimiert nicht für Mechanik oder Elektrik, sondern für Klang und Lebensdauer.
Vergleich mit anderen Glockenwerkstoffen
Stahl- und Eisenhartgussglocken
Im 19. und besonders im 20. Jahrhundert – vor allem nach den Weltkriegen – wurden viele Bronzeglocken durch Gussstahl- oder Eisenhartgussglocken ersetzt, weil sie deutlich günstiger waren und Bronze knapp oder teuer wurde.
Gussstahlglocken:
- besitzen eine deutlich höhere Schallgeschwindigkeit als Bronze → bei gleichem Schlagton müssen sie größer im Durchmesser sein und werden sehr dünnwandig gegossen.
- klingen oft härter und metallischer, mit eher „scheppernden“ Obertönen,
- haben meist einen kürzeren, weniger warmen Nachklang.
Eisenhartgussglocken (hoch kohlenstoffhaltiger Gusseisenwerkstoff):
- sind billiger, aber stark korrosionsanfällig; bei schlechter Pflege können sie in wenigen Jahrzehnten stark verrosten oder sogar durchrosten.
- neigen aufgrund von Poren (Lunkern) und Sprödigkeit eher zu Rissen,
- klingen matter, mit kürzerem Ausschwingen als Bronzeglocken.
Heute gelten sie daher vielerorts als Ersatzwerkstoffe mit begrenzter Lebensdauer und Klangqualität; zahlreiche Gemeinden tauschen solche Geläute wieder gegen Bronzeglocken aus.
Sonderlegierungen: Sonderbronze, Euphon & Co.
Zwischen klassischer Glockenbronze und Stahlglocken gab es auch Versuche mit Sonderlegierungen, z. B.:
- Sonderbronze (Kupfer-Silizium-Legierung, zinnfrei)
- Euphon (Kupfer-Zink-Legierung, also eine Art Messing für Glocken)
- Weißbronzen und Aluminiumlegierungen
Manche dieser Glocken erreichen klanglich durchaus gute Ergebnisse, andere zeigen einen kurzen, „kurzatmigen“ Nachklang oder ein weniger harmonisches Obertongleichgewicht. Insgesamt haben sie sich nie in gleichem Maß durchgesetzt wie klassische Glockenbronze.
Messing, Aluminium, andere Metalle
Für kleinere Glocken – etwa Schiffs-, Tür- oder Zierglocken – werden teils auch Messing (Kupfer-Zink) oder Aluminiumlegierungen verwendet. Sie sind:
- leichter zu bearbeiten,
- für Serienfertigung und kleinere Formate geeignet,
- klanglich aber einfacher, mit weniger komplexem Teiltongemisch.
Für große Turm- und Läuteglocken sind diese Materialien in der Regel nur bedingt geeignet, wenn es um hochwertigen, liturgischen Klang geht.
Andere Materialien zur Glockenherstellung
Historisch und in speziellen Anwendungen wurden und werden auch nichtmetallische Materialien für Glocken benutzt:
- Ton / Keramik – kleine Glocken oder Klangobjekte, v. a. im Kunst- und Hausgebrauch
- Glas – Glasglocken und Glasglockenspiele, klanglich sehr hell, aber empfindlich
- Holz (Holzglocken) – eher als Signal- oder Effektinstrumente
- Stein (Lithophone, Steinplatten) – Vorläufer von Glocken, v. a. in der Ur- und Frühgeschichte
Die klassische Kirchenglocke ist jedoch seit vielen Jahrhunderten fast ausschließlich aus Bronze, weil kein anderer Werkstoff die Kombination aus Klangfülle, Stimmbarkeit, Korrosionsbeständigkeit und Lebensdauer so gut erfüllt.
Fazit
Im Vergleich zu „normaler“ Bronze und zu Ersatzwerkstoffen wie Stahl, Eisenhartguss oder Sonderlegierungen ist Glockenbronze eine bewusst spezialisierte Legierung:
- 78 % Kupfer / 22 % Zinn,
- extrem klangtauglich,
- langlebig und witterungsbeständig,
- in der Summe bis heute der Referenzwerkstoff für hochwertige Kirchenglocken.
Andere Materialien haben ihre Berechtigung – sei es aus Kostengründen, in bestimmten Epochen oder für Sonderanwendungen –, erreichen aber in der Regel nicht die klangliche und dauerhafte Qualität eines gut disponierten und gestimmten Bronzegeläuts.
