Neues Bachert-Geläut mit historischer Gedächtnisglocke
Die Dresdner Frauenkirche gilt weltweit als Symbol für Zerstörung, Wiederaufbau und Versöhnung. Nach dem Wiederaufbau (1994–2005) erhielt sie 2003 ihre „Stimme“ zurück: ein achtstimmiges Geläut, das heute zu den klangreichsten in Sachsen zählt. Sieben der acht Glocken wurden in der Glockengießerei Bachert gegossen und bilden zusammen mit der historischen Glocke Maria ein d’-Oktett von großer klanglicher und geistlicher Aussagekraft.
Projektsteckbrief
- Ort: Evangelisch-lutherische Frauenkirche, Dresden-Neumarkt
- Auftraggeber: Stiftung Frauenkirche Dresden / Ev.-Luth. Frauenkirchgemeinde
- Zeitraum:
- 2002: Guss der Friedensglocke Jesaja
- 2003: Guss von sechs weiteren Glocken, Präsentation und Weihe des Geläuts, erstes Läuten zu Pfingsten
- Leistung Bachert:
- Guss von sieben neuen Bronzeglocken als d’-Oktett zu einer vorhandenen historischen Glocke
- klangliche Disposition und Teiltonabstimmung
- Begleitung von Werkabnahme, Harmonietests und Montage in zwei Holzglockenstühlen
- Disposition (Nominale): d’–e’–g’–a’–b’–c’’–d’’–f’’ (d’-Oktett)
- Glockenverteilung: je vier Glocken in zwei Ecktürmen (Turm C und Turm E) der Kirche
Ausgangslage: Ruine, Wiederaufbau und die Rückkehr von „Maria“
Die barocke Frauenkirche (1726–1743) stürzte nach den Luftangriffen vom 13./14. Februar 1945 ausgebrannt ein; ihre Ruine blieb zu DDR-Zeiten als Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung stehen.Erst nach der Friedlichen Revolution setzten Bürgerinitiativen, die Stiftung Frauenkirche und ein weltweites Spendennetzwerk den originalgetreuen Wiederaufbau durch, der 2005 mit der Weihe der Kirche vollendet wurde.
Die alte Frauenkirche besaß vier Glocken. Drei wurden im Zweiten Weltkrieg beschlagnahmt und eingeschmolzen, die vierte ging beim Einsturz verloren.
Eine Glocke aber überdauerte: die Gedächtnisglocke Maria (1518, Martin Hilliger, Freiberg). Sie diente bereits der gotischen Vorgängerkirche und später der barocken Frauenkirche, war aber seit 1925 außerhalb Dresdens in Gebrauch. 1998 kehrte sie nach Dresden zurück und ergänzt heute als historische Glocke das neue Geläut.
Damit stand beim Wiederaufbau fest: Die neuen Glocken sollten nicht eine alte Disposition rekonstruieren, sondern eine neue, tragfähige Klangarchitektur bilden – im Dialog mit der zurückgekehrten Maria.
Projektziele: Neue Stimmen für ein Symbol der Versöhnung
Die Frauenkirche versteht sich heute ausdrücklich als evangelisch-lutherisches Gotteshaus für Frieden und Versöhnung. Entsprechend war das Glockenprojekt mehr als eine technische Ausstattung:
- Eine neue Stimme für den wiedererrichteten Bau: Acht Glocken sollten den Tages- und Festlauf der Gemeinde prägen und zugleich in die Stadt hinein wirken.
- Verknüpfung von Liturgie und Stadtgeschichte: Jede Glocke bekam einen Namen, einen Bibelvers und eine auf ihre Aufgabe sowie auf die Geschichte der Frauenkirche bezogene Glockenzier.
- Hohes öffentliches Interesse: Der Gussauftrag für sieben Glocken ging 2002 per Fax an die Glockengießerei Bachert in Bad Friedrichshall – ein „Jahrhundertauftrag“ im Kontext des Wiederaufbaus.
Am 3. Mai 2003 wurden die neuen Glocken auf dem Dresdner Neumarkt bzw. Schlossplatz der Öffentlichkeit präsentiert. Rund 45.000 Menschen kamen, um sie zu sehen, die Inschriften zu lesen und sie zu berühren; in der Nacht rezitierten Schauspieler stündlich Schillers „Lied von der Glocke“.
Die neuen Bachert-Glocken im Überblick
Das Geläut der Frauenkirche besteht heute aus acht Glocken, sieben davon aus der Glockengießerei Bachert (Gussorte Bad Friedrichshall/Heilbronn, später Unternehmensverbund Bachert Karlsruhe).
Friedensglocke „Jesaja“ (Glocke 1)
- Schlagton / Nominal: d’
- Gewicht / Durchmesser: ca. 1.750 kg, Ø 140,4 cm
- Guss: 2002, Bachert
- Funktion: tiefste Glocke des Geläuts, zentrale Glocke bei Festgottesdiensten und Friedensgebeten; sie ruft u. a. freitags mittags zum „Friedenswort“ in der Frauenkirche.
- Thema: Friedensverheißung des Propheten Jesaja („Schwerter zu Pflugscharen“) – als klingendes Zeichen gegen Gewalt und Krieg.
Verkündigungsglocke „Johannes“ (Glocke 2)
- Schlagton: e’
- Gewicht / Durchmesser: ca. 1.228 kg, Ø 125,1 cm
- Guss: 2003, Bachert
- Funktion: ruft besonders zu Sonn- und Festgottesdiensten; ihr Bibelwort („Bereitet dem Herrn den Weg“) unterstreicht den Ruf zur Verkündigung.
Stadtglocke „Jeremia“ (Glocke 3)
- Schlagton: g’
- Gewicht / Durchmesser: ca. 900 kg, Ø 108,6 cm
- Guss: 2003, Bachert
- Funktion: Stadtglocke für besondere Anlässe im Leben Dresdens; ihre Inschrift erinnert an den prophetischen Aufruf, „das Beste der Stadt“ zu suchen – also Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen.
Trauglocke „Josua“ (Glocke 4)
- Schlagton: a’
- Gewicht / Durchmesser: ca. 645 kg, Ø 96,4 cm
- Guss: 2003, Bachert
- Funktion: bevorzugte Glocke bei Trauungen; die Inschrift „Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen“ gibt ihr eine klare Ausrichtung auf Ehe und Familie.
- Zusätzlich wiederholt sie im Westturm den Stundenschlag der Turmuhr.
Gebetsglocke „David“ (Glocke 6)
- Schlagton: c’’
- Gewicht / Durchmesser: ca. 475 kg, Ø 85,0 cm
- Guss: 2003, Bachert
- Funktion: Gebetsglocke für Andachten und stille Gebete; zugleich schlägt sie im Turm C die vollen Stunden der Turmuhr.
Taufglocke „Philippus“ (Glocke 7)
- Schlagton: d’’
- Gewicht / Durchmesser: ca. 392 kg, Ø 78,5 cm
- Guss: 2003, Bachert
- Funktion: Glocke der Taufe; ihr Bibelwort „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ (Eph 4,5) macht sie zum klanglichen Zeichen für die Aufnahme in die christliche Gemeinde.
Dankglocke „Hanna“ (Glocke 8)
- Schlagton: f’’
- Gewicht / Durchmesser: ca. 291 kg, Ø 69,4 cm
- Guss: 2003, Bachert
- Funktion: Dankglocke für alltägliche und festliche Anlässe; sie markiert außerdem mit Viertelstundenschlägen den Tageslauf.
Historische Gedächtnisglocke „Maria“ (Glocke 5)
- Schlagton: b’
- Gewicht / Durchmesser: ca. 328 kg, Ø 84,6 cm
- Guss: 1518, Martin Hilliger, Freiberg
- Funktion: Gedächtnisglocke, die die neue Glockenfamilie mit der langen Geschichte der Frauenkirche verbindet. Ihre lateinische Inschrift knüpft an das traditionelle „Ave Maria“ an und erinnert an die spätmittelalterliche Frömmigkeit, aus der die Dresdner Marienkirche hervorging.
Klangkonzept und Glockentürme
Die acht Glocken sind auf zwei Ecktürme verteilt: vier im südwestlichen Turm C (mit der Turmuhr), vier im nordwestlichen Turm E. Beide Türme erhielten moderne Holzglockenstühle, die die Lasten optimal in die barocke Konstruktion einleiten und günstige Schwingungsverhältnisse für den Klang schaffen.
- Im Turm C hängen u. a. die Friedensglocke Jesaja, die Dankglocke Hanna (Viertelstunden) und die Gebetsglocke David (Stunden).
- Im Turm E ergänzen Trauglocke Josua, Stadtglocke Jeremia und Verkündigungsglocke Johannes das Klangbild; Josua wiederholt den Stundenschlag.
Das Plenum aller acht Glocken bildet ein d’-Oktett und wird zu hohen Festtagen und besonderen Anlässen geläutet. Kleinere Teilgeläute – etwa für Andachten, Taufen, Trauungen oder Friedensgebete – nutzen ausgewählte Glockenkombinationen. So entsteht ein differenziertes, liturgisch lesbares Klangbild, das Tageszeiten, Gottesdienstformen und besondere Ereignisse unterscheidbar macht.
Gestaltung und Glockenzier
Nach alter Tradition erhielten alle Glocken der Frauenkirche eigene Namen, Bibelverse und Reliefzier, die sowohl auf ihre gottesdienstliche Aufgabe als auch auf die Geschichte der Frauenkirche verweisen.
- Jesaja trägt ein markantes Friedenswort und entsprechende Symbole – ein programmatisches Zeichen für die Rolle der Frauenkirche als „Friedenskirche“.
- Jeremia erinnert mit der Inschrift „Suchet der Stadt Bestes“ an die Verantwortung für Dresden und seine Menschen.
- Philippus und Hanna greifen Tauf- und Dankmotive auf; David thematisiert das persönliche Gebet.
- Maria bewahrt ihre spätgotische Ave-Maria-Inschrift und fungiert als historische Brücke zur Vorgängerkirche.
Die ersten, 2002 gegossenen Glocken wurden nach einer strengen Klangprüfung zum Teil noch einmal neu gegossen, weil aufwendige Zierformen die feine Klanggeometrie beeinflusst hatten. Beim zweiten Gussdurchgang bestanden die Glocken den Harmonietest, das Klangbild wurde als sauber und ausgewogen bestätigt.
Für Bachert bedeutete dieses Projekt, Gestaltungswille und akustische Präzision in besonderer Weise auszubalancieren – mit dem Ergebnis eines Geläuts, das sowohl optisch als auch klanglich überzeugt.
Beteiligung der Stadtgesellschaft
Die Glockenweihe 2003 war ein herausragendes Ereignis im Dresdner Stadtleben: Zehntausende verfolgten die Präsentation der Glocken, nahmen sie in Augenschein und machten sie „zu ihren eigenen“.
Bis heute prägen die Bachert-Glocken den Klangraum der Dresdner Altstadt: Sie begleiten Friedensgebete, erinnern an die Bombennächte im Februar und laden täglich zum Gottesdienst in ein Gotteshaus ein, das weltweit als Symbol der Versöhnung verstanden wird.
Fazit
Mit den sieben neuen Bachert-Glocken und der zurückgekehrten Gedächtnisglocke Maria hat die Dresdner Frauenkirche ein vielstimmiges, theologisch und historisch tief durchdachtes Geläut erhalten.
- Das d’-Oktett vermittelt eine klare klangliche Struktur,
- die Verteilung auf zwei Türme sorgt für optimale Statik und Klangabstrahlung,
- Namen, Bibelworte und Glockenzier erzählen von Frieden, Stadtverantwortung und Dankbarkeit.
So wird der Wiederaufbau der Frauenkirche nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar: im Klang einer Glockenfamilie, deren Herz im Guss und in der Klanggestaltung der Glockengießerei Bachert schlägt.
