
Ergänzung eines historischen Geläuts
Das Breisacher Stephansmünster gilt als Wahrzeichen der Stadt Breisach am Rhein und beherbergt eines der klanglich interessantesten historischen Geläute im Erzbistum Freiburg. Im Rahmen eines mehrstufigen Projekts durften wir zwischen 2011 und 2019 fünf neue Bronzeglocken gießen, die das bestehende Geläut nicht ersetzen, sondern bewusst ergänzen: Heute erklingt im Münster ein zehnstimmiges Gesamtgeläut aus fünf historischen und fünf neuen Bachert-Glocken.
>> Beitrag von Christiane und Albert Bachert zum Glockenprojekt


Projektsteckbrief
- Ort: Kath. Münster St. Stephan, Breisach am Rhein
- Bauherr: Kath. Pfarrgemeinde St. Stephan, Breisach
- Leistung Bachert:
- Guss von fünf neuen Bronzeglocken (2011–2012, 2018–2019)
- Klangkonzeption in Abstimmung mit dem vorhandenen historischen Geläut
- Lieferung und Montage der Glocken in den Südturm
- Glockenanzahl gesamt: 10 Bronzeglocken in zwei Chortürmen
- 5 historische Glocken (Nordturm)
- 5 neue Bachert-Glocken (Südturm)
- (+ 1 süße Glocke)
Ausgangslage: Historisches Geläut mit Seltenheitswert
Im nördlichen Chorturm des Münsters hing bereits vor Projektbeginn ein fünffach abgestuftes historisches Geläut mit Glocken aus den Jahren 1350, 1491, 1623, 1583 und 1579. Fachgutachten bescheinigen diesem Ensemble einen „ansprechenden, ausdrucksvollen und harmonischen“ Klang mit hohem Seltenheitswert.
Besonders prägend ist die große historische Glocke „Tuba Dei“ (1491, Georgius von Speyer, Offenburg), die seit Jahrhunderten als Hauptglocke des Münsters gilt. Zusammen mit der Totenglocke (um 1350), der „Alten Angelusglocke“ (1623) und zwei Glocken des Breisacher Gießers Hiremias Nirnberger (1583, 1579) bildet sie ein charakteristisches historisches Quintett. Das Vollgeläut folgt den Anfangstönen des Chorals Salve Regina und ist eng mit der Liturgie und der Stadtgeschichte verbunden.
Ziel des Projekts war daher ausdrücklich nicht, die alten Glocken zu ersetzen, sondern das gewachsene Geläut behutsam zu erweitern, liturgisch differenzierter nutzbar zu machen und statisch wie akustisch zukunftsfähig zu gestalten.
Projektziele: Ergänzung statt Ersatz
Die Pfarrgemeinde beschloss 2010, im Zuge der Außenrenovierung des Münsters auch den ungenutzten Südturm wieder als Glockenturm zu aktivieren. Dazu sollte ein neuer Glockenstuhl entstehen, der Platz für vier, später fünf neue Glocken bietet. Die Finanzierung erfolgte weitgehend über Spenden und Stiftungen; die Einbindung der Gemeinde war von Anfang an ein wichtiges Element des Projekts.
Die zentralen Ziele:
- Bewahrung des historischen Nordturm-Geläuts
- Erweiterung um ein neues Bachert-Geläut im Südturm
- Klangliche Verschränkung beider Türme zu einem zehnstimmigen Gesamtgeläut
- Liturgische Differenzierung (eigene Läuteordnungen für Werktage, Sonn- und Hochfeste)
- Statische Entlastung und denkmalgerechte Nutzung beider Chortürme
Die neuen Bachert-Glocken im Überblick
Zwischen 2011 und 2019 entstanden in unserer Gießerei insgesamt fünf neue Glocken für den Südturm des Münsters:
2011 – Christusglocke und Schöpfungsglocke
- Christusglocke (b⁰, 3850 kg, Ø 1830 mm)
- Guss: 2011, Glockengießerei Bachert, Karlsruhe
- Aufschrift u. a.: „Unum in Christo Jesu – Eins in Christus Jesus“
- Funktion: Wandlungsglocke an Sonn- und Feiertagen, Beerdigungen Erwachsener, Freitagsläuten um 11 Uhr, Sonntagsläuten vor den Gottesdiensten
- Schöpfungsglocke (es¹, 1494 kg, Ø 1360 mm)
- Guss: 2011, Glockengießerei Bachert, Karlsruhe
- Biblische Inschriften: Gen 1,1 („Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.“) und Offb 21,5 („Seht, ich mache alles neu.“)
- Funktion: Angelusglocke an Werktagen
Beide Glocken wurden „auf Ton“ gegossen, das heißt, es waren nach dem Ausschalen keine nachträglichen Klangkorrekturen am Metall nötig. Das Erzbistum Freiburg hebt ausdrücklich die hohe musikalische und gusstechnische Qualität des Gusses hervor.
2012 – Heilig-Geist-Glocke
- Heilig-Geist-Glocke (ges¹, 921 kg, Ø 1140 mm)
- Guss: 2012, Glockengießerei Bachert, Karlsruhe
- Inschrift: „Dem Flügel gleich schwinge ich und künde: KOMM SCHÖPFER GEIST.“
- Liturgische Funktion: Glocke zur Sakramentenspendung (Taufe, Erstkommunion, Firmung, Trauung)
Mit diesen drei Glocken entstand zunächst ein achttöniges Gesamtgeläut aus fünf historischen und drei neuen Glocken, das an Heiligabend 2012 erstmals vollständig erklang.
2018/2019 – Erweiterung zur zehnstimmigen Disposition
Im Zuge der denkmalgerechten Sanierung des historischen Glockenstuhls im Nordturm wurden alle fünf historischen Glocken neu eingehängt. Parallel dazu erhielt der Südturm zwei weitere Bachert-Glocken:
- Laurentiusglocke (des², 320 kg) – Guss 2019, Bachert Neunkirchen
- Patronats-Glocke Gervasius & Protasius (f², 160 kg) – Guss 2019, Bachert Neunkirchen
Mit diesen beiden kleineren Glocken konnte das Bachert-Geläut im Südturm zu einem eigenständigen b⁰-Quintettergänzt werden, während die historischen Glocken im Nordturm ein des¹-Quintett bilden. So sind heute sowohl getrennte Turmgeläute als auch ein zehnstimmiges Plenum möglich.
Klangkonzept: Dialog zwischen alt und neu
Das klangliche Konzept des Breisacher Münsters beruht auf einem Dialog zweier Türme:
- Nordturm: historisches des¹-Quintett (Tuba Dei und vier weitere Glocken), dessen Klangstruktur bewusst erhalten und nur statisch verbessert wurde
- Südturm: neues b⁰-Quintett von Bachert, das auf einen warmen, grundtönigen Gesamtklang hin disponiert ist
Durch gezielte Läuteordnungen können:
- Werktageluten (z. B. Angelus mit der Schöpfungsglocke)
- Sonn- und Festtagsgeläute (Christusglocke plus ausgewählte historische Glocken)
- Hochfeste (zehnstimmiges Plenum)
klanglich und liturgisch voneinander unterschieden werden. Das Ergebnis ist ein Geläut, das historische Substanz respektiert und zugleich die musikalische Ausdruckskraft des Münsters deutlich erweitert.
Glockenzier: Zeitzeichen am Klanghimmel
Die Gestaltung der neuen Glocken erfolgte in enger Zusammenarbeit mit dem Breisacher Künstler Helmut Lutz, der bereits mehrfach für das Münster tätig war. Besonders auffällig sind:
- die wellenförmige Ornamentik der Christusglocke, die auf die Tsunamikatastrophe in Japan vom 11. März 2011 Bezug nimmt
- die Schöpfungsglocke mit ihrem biblischen Doppelmotto von Schöpfung und Neuschöpfung
- die Heilig-Geist-Glocke mit einem dynamischen Schrift- und Bildprogramm, das den Ruf „Komm, Schöpfer Geist“ ins Bild setzt
So erzählen die neuen Glocken nicht nur klanglich, sondern auch bildlich von der Verantwortung der Gemeinde für Schöpfung, Frieden und Versöhnung – und verankern aktuelle Erfahrungen in der jahrhundertealten Klangtradition des Münsters.
Fazit
Mit den fünf Bachert-Glocken im Südturm wurde das historische Geläut des Breisacher Stephansmünsters behutsam ergänzt und zugleich zukunftsfähig gemacht. Das Projekt zeigt beispielhaft, wie sich:
- denkmalpflegerischer Respekt,
- liturgische Anforderungen und
- moderne Glockengusskompetenz
zu einem stimmigen Gesamtkonzept verbinden lassen – und wie neue Bachert-Glocken ein altes, kostbares Geläut nicht übertönen, sondern krönend vollenden.
weiterführende Literatur bei :
Unser Münster / Die Informationsschrift des Münsterbauvereins Breisach e.V.
Universitätsbibliothek Heidelberg
Nr. 58 (2021): Unser Münster: Thron der Glocken

Nr. 55 (2018): Unser Münster: Glockenguss am Stadtpatrozinium

Nr. 46 (2011): Unser Münster: Glocken im Südturm: Gebt Christus eine Stimme

